directors lounge monthly screening
gabriele stellbaum
my over-groomed sense of entitlement
Donnerstag, 25. April 2013
21:00 Uhr
Z-Bar
Bergstraße 2
10115 Berlin-Mitte
“My over-groomed sense of entitlement"
Im Zuge meines übersteigerten Anspruchsdenkens.
Gabriele Stellbaum zeigt neuere Videoarbeiten.
Eine Frau, der einzige Darstellerin in der Szene und offensichtlich abhängig beschäftigt, hört plötzlich auf, die Rolle zu erfüllen, die von ihr als Angestellte erwartet wird. Mit entrücktem Gesicht und ohne zu blinzeln scheint sie einer anderen Tagesordnung zu folgen. Sie scheint seltsam und irrational zu handeln, trotzdem könnte es umgekehrt sein, nämlich dass sie ihre ganze Umgebung als irrational wahrnimmt. “Ich würde es vorziehen nicht zu..." ist die Antwort, die sie gibt wenn direkt gefragt (Bartleby). Diese Kurzbeschreibung von “Bartleby", eine Videoadaption des Romans von Herman Melville trifft auf mehrere jüngere Arbeiten der Künstlerin zu. Eine andere Antwort der weiblichen Protagonistin ist: “Was sie eine Zuwiderhandlung nennen, ist ein Akt des Ekels!" (Summer Frost). Die Filme wurden in sehr unterschiedlichen Locations oder Studio-Settings aufgenommen. Die Kamera folgt der Protagonistin fast ständig, sie ist nur selten erlaubt abzuschweifen und sie überträgt schon so ein klaustrophobisches Gefühl. Das Bild ist klar, brillant und von jener unerbittlichen Schärfe des High Definition-Video-Realismus, und trotzdem entwickelt sich eine surrealistischer Stimmung, die einigen von Lars von Triers Dogma Filmen (einschließlich “Dogville") eignet. Der Künstlerin zufolge basiert alles auf Bildern. Sie startet Projekte mit Vorstellungsbildern und sucht oder baut die Filmsets, die sie im Kopf hat: Eine Büroumgebung, die farblich völlig auf das Kleid abgestimmt ist, das sie trägt (Bartleby); eine Schwimmhalle mit allen verbundenen Zusatzeinrichtungen (Friday, the 13th); ein scheinbar endloses Parkhaus, das wie ein spiralförmiges Labyrinth wirkt (Honest Lies); oder flache, schneebedeckte Winterlandschaft, die als Zwischenbild funktioniert.
Wenn man die Präzision des Bildes sieht, mag es überraschen zu hören, dass Gabriele Stellbaum noch nie mit einer klassische Kameraperson gearbeitet hat. Sie bereitet normalerweise die Szene und die Kamera vor, und benutzt Freunde, die die Kamera einfach nach ihrer Anweisung bedienen. Und ja, es ist die Künstlerin selbst, die die Hauptdarstellerin spielt, oder auch manchmal mehrere Rollen ausfüllt, während sie nur äußerst sparsam mit zusätzlichen Schauspielern arbeitet. Obwohl die Filme stark auf Sprache aufgebaut sind, ob in der Szene oder aus dem Off, aber immer diegetisch (das heißt direkt erzählungsbezogen), arbeitet die Sprache eher als Textstrom denn als konventioneller Dialog. Vielleicht ist es gerade ihr Umgang mit Sprache, der die Regeln konventioneller Erzählung bricht. Die Dinge, die geschehen, scheinen eher einer Strömung zu folgen denn einer Dramaturgie.
Gabriele Stellbaum ist eine jener Künstlerinnen, die Video als Medium entdeckten, als sie ihre Arbeit weiter entwickelten. Nachdem sie als Bildhauerin studiert und gearbeitet hatte, und mit einigem Einfluß aus ihrem Tanztraining zum Leistungsfach in der Schule, ist es der Umzug nach New York, wo sie 12 Jahre bleiben sollte, der den Auschlag gab, zu einem Medium mit weniger physischem Gewicht zu wechseln. Im Gegensatz zu früheren Künstlergenerationen, die zur Videokunst wechselten und die Video als “Material" im Sinne des Minimalismus verstanden, oder auch als (dokumentarisches) Mittel des politischen Aktivismus, hat Stellbaum ihre Bezüge in den narrativen Formen des Mediums, und in der modernen Literatur. Die verschiedenen Hauptrollen ihrer Filme könnten vielleicht auch als Fluktuationen einer einzigen Figur gelesen werden, als ihr Alter Ego, wie K. oder Franz K. das Alter Ego Franz Kafkas ist, wie Bernardo Soares für Fernando Pessoa, oder Buster Keaton, die Filmfigur für Buster Keaton den Regisseur ist. Der kleine Mann von der Straße, auch zutreffend für Bartleby, die Figur Melvilles (publiziert 1853), kämpft mit subversiven Methoden gegen die Entfremdungen des Modernen Lebens. Er ist immer männlich, während alle Figuren Stellbaums weiblich sind. Um darüber nachzudenken, was Gabriele Stellbaums Alter Ego zur zeitgenössischen statt zur Figur der Moderne macht, lohnt es sich nochmals “ihre" Bartleby als Schlüsselfigur zu betrachten.
Zunächst, nach der Zeit der Schreiber(linge) haben die Mechanisierung und zwei Weltkriege die Frauen in die Positionen der Maschinenschreiberin und Sekretärinnen gedrängt, seither fast ausschließlich weibliche Berufe. Weiter, nach Freuds Einführung der Krankheit der Psyche, und der gewaltig gewachsenen Macht der Pharmaindustrie, würden Bartlebys Vergehen sicherlich eine passende Diagnose und eine Therapie mit entsprechenden Drogen finden, falls notwendig in der Klinik statt im Gefängnis. Entsprechend ist auch die Hauptfigur in Summer Frost mit einer medizinischen Befragung konfrontiert. Schließlich hat die Künstlerin für Bartleby ein ungefähr zeitgenössisches Filmset konstruiert, und wir lesen wahrscheinlich die Gefängnissequenz am Ende eher metaphorisch als ein mentales Bild für ihren Satz “Ich würde es vorziehen, gar nichts zu ändern" (I rather would prefer not to change anything). In die heutige Zeit übertragen, würde Bartleby sicherlich eher in eine Klinik eingewiesen, denn ins Gefängnis gesperrt, und die Stärke der Geschichte, besteht sicherlich eher in ihrer zeitgenössischen Interpretation als Gegenwehr gegen die komplexen Anforderungen heutiger Arbeit denn in der Rebellion gegen die patriarchische Hierarchie aus der Zeit Melvilles. Dies führt zu der Frage, ob solche Rebellion in unserer Gesellschaft heute nicht vielleicht sogar schlimmere Konsequenzen nach sich ziehen würde, wenn jeder noch so gering bezahlte Job auf der ständig angepassten wirtschaftlichen Eigeninitiative beruht.
Gabriele Stellbaum ist persönlich anwesend.
Curated by Klaus W. Eisenlohr
Artist Links:
http://stellbaum.wordpress.com/
http://www.artnet.com/magazineus/features/becker/Gabriele-Stellbaum8-27-10.asp
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