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directors lounge special screening
steven ball
travelling practice
video works
Donnerstag, 27. Okt. 2011Travelling Practice
21:00 Uhr
Z-Bar
Bergstraße 2
10115 Berlin-Mitte
Travelling Practice — Reisepraxis — Digitale Arbeiten von Steven Ball 2003-2010.
Diese Arbeiten reisen nah und fern, über pysischen und virtuellen Raum, mit Aufnahmen die “en route" entstanden sind. Steven Ball's work ist radikal zeitgenössisch in seiner Erscheinung. Er benutzt in der Regel sein eigenes Kameramaterial und seine Stimme, als Voice-Over um eine weitere diskursive Ebene einzuführen. Sein visuelles Material erscheint direkt, klar und scharf. Die Themen die den Künstler dabei interessieren sind weniger einfach zu umreißen. In sehr kurzer Form könnte es als ein Interesse an Landschaften und den dabei enthaltenen politischen Implikationen von Reproduktion beschrieben werden.
Es mag auf den ersten Blick nicht offensichtlich sein, dass Steven Balls Arbeit durch seine Erfahrungen in Australien sehr beeinflußt wurden. Der Künstler lebte für 12 Jahre in Melbourne, von 1988 bis 2000, wo er ein sehr aktives Mitglied der lokalen Kunst- und Super-8 Szene war. Mit dem Umzug zurück nach London machte er gleichzeitig einen bewußten Schnitt und widmet sich seither dem damals “neuen Medium" Digitales Video. Eine weitere Idee, die er in seinem Gepäck hatte, ist die intellektuelle Debatte über traditionelles Denken australischer Eingeborener wie es sich in Glaubenssätzen und Mythen der Aborigines spiegelt. Noch über die Mitte des 20 Jahrhunderts hinaus wurden die Vorstellungen australischer Eingeborener, obwohl schon längst Forschungsgebiet ethnografischer Studien, noch immer als heidnischer Aberglauben betrachtet, der mit zivilisatorischen Mitteln zu überwinden sei. Mit dieser Auseinandersetzung steht sicherlich Balls kritische Hinterfragung von scheinbar unverrückbaren westlichen Glaubenssätzen im Zusammenhang.
Schon mit der Einführung von DV-Bändern (mini-DV Kassetten) hatte Video diese Art seltsamen Realismus-Effekt, den High Definition (HD-Format) in den letzten Jahren nur verstärkt hat. Die Bilder aus Steven Balls Kurzfilmsammlung “Direct Language" (2005 2008) transportieren oft diese Art unheimlichen Realismus. Die Shorts wurden zunächst für Stevens Video Blog “Direct Language" erstellt. Wir könnten sie Video-Etüden nennen, der Künstler selbst nennt sie Gelegenheits- oder Versuchsarbeiten, ohne nach “hoher Kunst" zu streben. Die einfache und manchmal verstörend klare Qualität hat sicherlich etwas zu tun mit Stevens Vergangenheit des Super-8-Filmemachens. Mit Schmalfilm kann man auf die alltäglichste Situation die Kamera halten und es ensteht daraus Schönheit. (Die Berliner Filmemacherin Dagie Brundert nennt es das Wabi-Sabi des Super-8) — und es scheint mir, dass Steven Ball immernoch neugierig verfolgt welche eigenartigen Transformationen mit digitalem Videomaterial passiert, wenn es in der gleichen Weise — direkt und geradeaus — benutzt wird.
In Metalogue (2003) konstruierte Ball die Metastory eines digitalen Videoarchivs um Videoaufnahmen in Verbindung zu setzen, die auf verschiedenen Reisen entstanden sind und zumeist zwiespältige Körper-Raum Relationen darstellen. Der Film ist offensichtlich durch Suchbegriffe strukturiert. Die digital aufgezeichneten Schlagwörter and Dateiinformationen scheinen den Gedächtnisspeicher der Videoclips zu organisieren, und deren Wiedergabe. Der Film kann uns so wie die futuristische Verbindung von Verstand und externem Videogedächtnis erscheinen, womöglich das biologisch aufgezeichnete Bildergedächtnis verdrängend. “Direct Language", die Videoblog-Webseite wurde dagegen zu einer anderen Art von Archiv, hier werden die Einträge streng in der Chronologie ihres Erscheinens aufbewahrt. Nach Steven Ball hat dass Bloggen bereits seinen Höhepunkt überschritten und wird zunehmend durch sogenannte “soziale Netzwerke" wie Facebook verdrängt. Dennoch ist Steven weiter mit einem Blog aktiv, “Direct Objective", wo er Schreiben und Videoblog vereint. Andererseits hat er sein Interesse an unmittelbarem Video-Austausch auf anderer Ebene weiter geführt, indem er Online-Videoperformances mit dem Tschechischen Künstler Martin Blazicek organisierte.
Einen Blick auf vergangene Projekte, jedoch ganz neu überarbeitet, bekommen wir bei “The Ground, the Sky, and the Island" (2008). Super-8 Aufnahmen von größeren Reisen in Australien werden mit gesprochenen Tagebuchnotizen verbunden. Die Gesprochenen Sätze bilden ihren eigene Bedeutungsebe, während die Bilder digital überarbeitet wurden. An einigen Stellen bildet der Horizont die Trennungslinie von kombinierten Bildern, und in dieser Weise zeigt der Film unter anderm auch Ball's Widerstreit mit dem Begriff Repräsentation und seiner Diskussion des Landschaftsbildes. Generall muß jeder Versuch der Dokumentation von Landschaft als genuine (Bild-)Konstruktion des Dokumentaristen gesehen werden, anstatt der Darstellung von Realität, folgen wir den Ideen des Filmemachers. Die gefühlte Klaustrophobie angesichts des ihn umschliessenden Horizonts, die der Künstler im Film bezeugt, kann auch als Resultante tradierter europäischer Landschaftsideen angesichts der Weite australischer Landschaft interpretiert werden. Wenn wir Ernst Gombrichs Diskussion des Begriffs Landschaft weiterdenken, ist räumliche Tiefe in der Landschaft eine Konstruktion englischer Landschaftsmaler des 19 Jahrhunderts. Eine Konstruktion jedoch, die gegenüber dem rundum gegenwärtigen Horizont im Outback versagt. Der Film, der zuerst in einem von Steven Ball für britische Kunstmuseen co-kuratierten Filmprogramm über Australische Landschaftsfilme gezeigt wurde ("Figuring Landscapes" curated with Catherine Elwes), kann daher vielleicht auch als Konfontation europäisch-tradierter Ideen mit australischer Landschaft interpretiert werden.
Mit “Aboriginal Myths of South London" (2010) nimmt Steven Ball die umgekehrte Sichtweise an, indem er “Sichtweisen von indigenen Völkern Ozeaniens" auf seinen Heimatort anwendet. Süd-London ist Steven's Geburtsort und New Kent Road die Hauptstraße des Stadtviertels, in dem er wohnte. Das Split-Screen-Video zeigt den Bürgersteig der besagten Straße während der Künstler ostwärts wandert und zuerst aus religiösen Geboten zitiert, die jegliche bildliche oder sprachliche Darstellungen von toten Menschen verbieten, um dann aus dem offiziellem Postverzeichnis der New Kent Road vorzulesen, ohne jegliche Namen von Personen zu nennen. Das Konzept den Respekt für die Toten dadurch auszudrücken, dass diese weder abgebildet werden, noch ihre Namen ausgesprochen werden, steht offen im Widerspruch zur Judaisch-Christlichen Tradition gemeinschaftlichen Erinnerns. Es ist vielleicht interessant an dieser Stelle zu bemerken, dass das Wort “commemoration" (geteilte Erinnerung) im Englischen für die Einhaltung des Brauchs der Anglikanischen Kirche steht. Des Weiteren ist es vielleicht diese Art die Doxa, die allgemeine Meinung, zu hinterfragen, die hin zu Steven Balls Found-Footage-Film “Personal Electronics" (2010) führte. “Personal Electronics ist ein experimenteller Dokumentarfilm, der die Erfahrungen von Opfern der Phänomene von elektronischer Belästigung aufzeichnet", wie sie in Online Videoarchiven wie Youtube dokumentiert sind. Das Video ist eine Komposition aus audiovisuellen persönlichen Zeugnissen, nicht unähnlich jener Protokolle die von Kontakten mit Außerirdischen sprechen oder von Nachweisen der Konspirationstheorien, jedoch weniger gewiss derer unmittelbaren Erklärung sind. Nach Stevens Meinung solllten diese Stimmen ernster genommen werden, auch aus dem Grunde der Mühen und der Risiken der Lächerlichkeit, die diese Menschen auf sich nehmen. Einerseits gibt es Parallelen zur “Speakers Corner" in Hyde Park, einer der Grundsteine der “freien Rede" in Großbritannien, andererseits mögen sie auch reines Phänomen der möglichen Massenverbreitung dieser “Stimmen" über die Neue Medien sein, ähnlich zum Phänomens der “Hysterie" oder des “Großen Bogens" (frz. Arc de cercle) der Hysterie wie sie photographisch vom französischen Neurologen Jean Martin Charcot (1825-1893) dokumentiert wurde.
Während er die direkte und zugleich allgemein zugängliche Sprache des digitalen Video benutzt, verhindert Steven Ball doch die einfache Konsumierung durch leichte Verfremdungen, Verschiebungen in der Wahrnehmung. Wir erwarten daher einen fesselnden Filmabend, und auch eine spannende Diskussion mit dem Künstler, der für das Screening nach Berlin kommt.
(Klaus W. Eisenlohr Oct 2011)
Programm:
Metalogue (26:37, 2003),
Direct Language (10:00, 2005 2008),
The Ground, the Sky, and the Island (7:45, 2008),
Aboriginal Myths of South London (10:27, 2010),
Personal Electronics (26:00, 2010)
Artists Links:
home: http://www.steven-ball.net
blog: http://directobjective.blogspot.com
videoblog: http://directlanguage2010.blogspot.com
Public Water: http://www.publicwater.net
Links:
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